Realitätsverlust

Sonntag, 23. Juni 2013
Ich habe jetzt arge Entzugserscheinungen. Ich habe in den letzten 14 Tagen gerade mal 30 Seiten gelesen. Viel zu wenig, wenn ihr mich fragt. Und wer ist Schuld daran? Also ich ja nicht. Ich schiebe es auf das Studium. Ganz klar! Da programmiert und lernt man den ganzen Tag und hat keine Freizeit. Nein, man plant sogar seine Freizeit danach, wie viel man noch arbeiten muss. Herje. Ich plane sogar meine Schlafzeit danach, ob ich sie mir leisten kann oder nicht. Ich will endlich wieder lesen! Aber warum? Warum suchte ich danach, endlich wieder Zeit zum Lesen zu finden?
Ganz klar. Ich bin süchtig. Aber ich entfliehe auch gerne der Realität. Verschwinden ist eines der leichtesten Dinge, um Problemen aus den Weg zu gehen. Warum nicht ein schönes Buch schnappen und in eine fremde Welt entfliehen. Das ist wie Computerspiele spielen – na ja, fast. Fakt ist, in beiden Fällen entflieht man der eigenen Realität für einige Momente, Stunden, Tage …
Das größte Problem ist es doch, dann wieder zurück in die Realität zu finden. Zurzeit lese ich „Wir beide, irgendwann“ (wenn ich dann mal zum lesen komme) und es ist so nostalgisch. Sie reden von Kassetten, ISDN-Modems und hat keine Ahnung von SMS, Handys oder Titanic. Hach, das erinnert mich an meine Kindheit, die ich tatsächlich 10 Jahre in den 90er verbracht habe – wer rechnen kann – mit meinen 24 Jahren schon 4 Jahrzehnte erlebt und in 2 Ländern gelebt, bin theoretisch heimatlos, weil es mein Geburtsland (zum Glück?!) nicht mehr gibt.
Ich bin ein Zeitreisender, davon bin ich überzeugt. Kleine Rechnung: Geboren in den 80er, aufgewachsen in den 90er, zum Teenie geworden in den 2000er und in den 10er soll ich angeblich erwachsen werden und doch, studiere ich immernoch.
4 Jahrzehnte … mit 24 Jahren. Man, hab ich mich gut geschlagen. Okay, mal ehrlich, ich fange wieder an zu spinnen. Ich vermisse mein Buch, verdammt!
Manchmal träume ich davon, dass ich mit Hermine einen Zaubertrank mixe, um Harry und Ron zu retten. Will unbedingt Alice kennenlernen und fragen, wieso Edward und Bella solche Schnarchnasen sind. Ich will nicht, dass unsere Welt so endet, wie bei Katniss und Prim oder Aria und Perry. Ich will auch nicht glauben, dass es diese böse Menschheit gibt, wie Robert Langdon sie ständig erleben muss.
Leide ich an Realitätsverlust, weil ich glaube, dass mein Leben eine geschriebene Geschichte ist, in einem Buch, dass ich nicht kenne? Warum suche ich ständig nach dem Resetknopf, wenn es doch kein Spiel ist, dass man reseten kann?
Ich kann nicht wieder zurück in die 90er. Und dieses gottverdammte Radio, dass 24 Stunden lang nur 90er Jahre Musik spielt, kann mich nur ansatzweise emotional zurückversetzen. Aber ich will gar nicht zurück. Bin aber froh, dass ich diese Zeit miterlebt habe.
Realität hin oder her. Ich will endlich lesen. Ich will lachen, weinen, trauern, glücklich sein, in einer Welt, die meiner so fremd ist und ihr doch mit jeder Seite sehr nahe kommt.
Buchjunkies haben es echt nicht leicht. Wir glauben an die große Liebe, weil so viele Bücher voll davon sind, und sind enttäuscht, weil der Freund statt deiner Lieblingsblumen nur Löwenzahn mitbringt. Wir glauben an ein Happy End im Leben, immer und immer wieder – aber auch Bücher müssen, wie im wahren Leben, ohne Happy End auskommen.
Mein Name ist Heffa Fuzzel und ich bin ein Buchjunkie mit Realitätsverlust, ab und zu.